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Sara Glojnarić sitzt auf einem Sessel Sara Glojnarić sitzt auf einem Sessel Sara Glojnarić sitzt auf einem Sessel
Förderpreis Komposition 2023

Sara Glojnarić

Essay

Auf der Sternenspur

von Iva Lovrec Štefanović

Astrolog*innen werden Geburtstagszusammenhänge sicherlich als bedeutsam interpretieren, und die Tatsache, dass Sara Glojnarić (in Kroatien zu Beginn des Kriegsjahres 1991) nicht nur am Geburtstag ihrer Mutter, sondern auch am Geburtstag von Pop- Ikone David Bowie geboren wurde, kann bereits als einer der Meilensteine auf ihrer Reise ad astra gedeutet werden.

Sara Glojnarić spielt Gitarre

Die Musik, von der sie in ihrer Kindheit umgeben war, erwies sich als natürlicher Wegweiser, ihre musikalische Ausbildung auf das Komponieren zu konzentrieren und eine solide Grundlage in der Klasse von Davorin Kempf zu erlangen. (Dieser, wie auch Milko Kelemen waren übrigens Schüler von Stjepan Šulek, einem der renommiertesten kroatischen Kompositionslehrer des 20. Jahrhunderts. Milko Kelemen verließ Zagreb in Richtung Stuttgart und lehrte an der dortigen Musikhochschule.) Sara Glojnarić ging im Rahmen eines Erasmus-Studierendenaustauschs ebenfalls nach Stuttgart und blieb dort – bis zum Ende ihres Studiums in der Klasse von Martin Schüttler, aber auch nach ihrem Abschluss – und schuf sich ihren eigenen Lebensraum, ihren Lebensmittelpunkt, von dem aus Wege überall hinführten – sowohl in künstlerischer Sicht als auch zu tatsächlichen Reisen, Seminaren, Residenzen oder Gastauftritten.

Sara Glojnarić komponiert an einem Computer

Ihr eröffnete sich eine neue Welt, die auf natürliche Weise in ihre eigene eindrang, und der jungen Komponistin Raum zum Spielen und Experimentieren gab, aber auch für tiefe Reflexionen über die Gesellschaft, Ungerechtigkeit oder das Erbe jenes Jahrhunderts, in das sie zwar hineingeboren wurde, das sie aber aus Erinnerungen und der Nostalgie anderer übernahm.

Sara Glojnarić sitzt auf einem Sessel

Durch das Studium bei Martin Schüttler beherrscht sie ganz unterschiedliche kreative Ausdrucksformen, den Einsatz von Video, Multimedia, Montage und räumt mit jeglichen Vorurteilen gegenüber nicht-klassischer Musik aus der Vergangenheit, aber auch aus der Gegenwart völlig auf. Das Leben im Trubel neuer Ideen, Möglichkeiten und Herausforderungen führten Sara Glojnarić zu ersten wichtigen Preisen, wie etwa 2018 in Darmstadt für die einzigartige Idee und Umsetzung der Installation popfem, in der sie akribisch und meisterhaft Medienmaterial aus dem rechtsextremen Flügel zu einer beeindruckenden Collage kombiniert, die von einer frauenfeindlichen Gesellschaft und einem frauenfeindlichen System zeugt. Diese originelle Denkweise, die die Bearbeitung des Videomaterials sowie das endgültige Kunstwerk und dessen Ausdruck bestimmt, offenbart Sara Glojnarić als Miniaturistin, geduldige Forscherin und ausdrückliche Aktivistin für die Rechte der Frauen und für die Menschheit als solche, die sie als eine Welt gleicher, d.h. gleichberechtigter Individuen wahrnehmen möchte.

Sara Glojnarić vor einem Klavier

In dem witzigen, aber gleichzeitig tief durchdachten Stück This Champagne is Burned (2021) setzt sie diesen Weg fort und untersucht den Begriff der Übersetzung/Synchronisation als erweiterte Autorenschaft, ihre Diskrepanzen, ihre paradoxe Natur sowie ihr Potenzial als politisch subversive Geste. Präsentiert in der Festung der Avantgarde Darmstadt stellt diese Videoarbeit Sätze und Auftritte von Karlheinz Stockhausen und Dolly Parton gegenüber, dabei mutet deren Hit Jolene wie die Promenade aus Modest Mussorgskis Bilder einer Ausstellung an, und der abschließende Auszug aus der Kult-TV-Serie Der Denver Clan wird wie ein manieristischer Vers aus dem Frühbarock inszeniert.

Sara Glojnarić vor einer Wand mit Efeu

Sara Glojnarić, die als Kind des 20. Jahrhunderts geboren wurde, erforscht, seziert und fügt die Themen dieses Jahrhunderts erfolgreich zu ihren eigenen Botschaften zusammen. Aber nicht nur auf der Ebene der Analyse und Gegenüberstellung von Videomaterialien, sondern auch als groß angelegte Untersuchung der Popmusik und ihrer Klangfetische formt sie dann im Sugarcoating-Zyklus, dessen vierte Episode (sugarcoating#4) für großes Orchester bei Wien Modern im November 2022 erfolgreich uraufgeführt wurde, interessante sugar coated („zuckerüberzogene“) Kompositionen, die sich aus der Erforschung einer Million Popsongs speisen und deren dichtest mögliche Ableitung zeigen: Lautstärke, die Vorrang hat, Tonhöhen und Texturen, die durch Wiederholungen und Loops immer mehr reduziert und komprimiert werden. Und gerade die Dichte, die sich daraus ergibt, wird in die Orchesterkomposition zurücktransferiert, die Musiker fast wie in einer sportlichen Disziplin herausfordert, anspruchsvoll und virtuos, wie Sara Glojnarić selbst betont.

Sara Glojnarić ist die jüngste Preisträgerin des Erste Bank-Kompositionspreises und dies ist nur eine von vielen Auszeichnungen und Anerkennungen, die sie bereits erhalten hat, vom Preis für junge Musiker Ivo Vuljević und den Porin-Preisen in ihrem Heimatland Kroatien, bis hin zu wichtigen Aufträgen, etwa denen für neue Opernwerke, in denen sich ihr untrügliches Gespür für die Anziehungskraft ihrer Musik in solchen Formaten zeigt. Sei es in der Kinderoper Žabica kraljica über die „Erwachsenen- Oper“ Im Stein, freigegeben ab 18 Jahren – Im Stein eröffnet Einblicke in die existenzielle Realität nach dem Fall der Berliner Mauer, mit zahlreichen Details der Welt der Prostitution und der dunklen Unterwelt – und aufgrund der Pandemie unerwartet im Filmformat erschienen, nach dem gleichnamigen Roman von Clemens Meyer, der auch das Libretto schrieb, bis hin zu ihrer jüngsten Opernkomposition NEURO-MOON.

Sara Glojnarić
Sara Glojnarić spielt Gitarre

Sara Glojnarić ist Sportlerin, zwar als Amateurin, aber immerhin ist Triathlon ihre Disziplin, die sie in ihrem künstlerischen Leben mit drei Uraufführungen in drei Wochen Ende letzten Jahres gewissermaßen bestätigt hat. Die Verbindung zu ihrer sportlichen Disziplin stellt sie auch in einer neuen Reihe von Werken her, die sie mit Latitudes für präpariertes Klavier begann. Eine gepflegte und kreativ gestaltete Website, die gute Zusammenarbeit mit ihrem Verlag, Präzision bei der Einhaltung von Plänen und Deadlines – gewissermaßen die „pure Glückseligkeit“, wie der Titel ihrer jüngsten Komposition für das Klangforum Wien verheißt. Pure Bliss wird auf den Festivals Europas unterwegs sein und sogar den Ausgangspunkt von Sara Glojnarićs glänzender Karriere Zagreb erreichen und dessen berühmte Musikbiennale, die von Milko Kelemen, von dem wir bereits am Anfang des Textes gehört haben, gegründet wurde.

Sara Glojnarić

Und der Sternenstaub – stardust –, den David Bowie auf der ganzen Welt verbreitete, berührte sicherlich Sara Glojnarić mit ihrer unangepassten und freien Kreativität, die, völlig unbelastet von den Kategorien und Schubladen, in die die Musik oft gesteckt wird, nach oben sieht und manchmal mit überraschendem Blick auf die Gegenwart, auf Grundkonzepte und Lebenshaltungen antwortet, immer fantasievoll und immer äußerst menschlich.