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Motiv 76. Frühjahrstagung: Raue Zeit

76. Frühjahrstagung

Institut für Neue Musik und Musikerziehung, Darmstadt (DE)

Unter dem Leitbegriff der Rauheit wird ein künstlerischer Gestus thematisiert, der sich ebenso auf einer innermusikalischen Ebene zeigt, wie er auch als Ausdruck einer gegenwärtig verstärkt hervortretenden künstlerischen Haltung begriffen werden kann. Der Titel der 76. Frühjahrtagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt (INMM) steht für den Versuch, unterschiedliche Aspekte von Rauheit genauer zu fassen und auf Interdependenzen hin zu untersuchen.

Mit dem Tagungstitel soll ein komplexer künstlerischer Gestus eingefangen und auf seine Ursachen und Wirkungen hin befragt werden. Einer Tradition folgend wird dabei der direkte Kontakt mit einigen prominenten Künstler*innen gesucht, die mit dem Tagungsthema besonders verbunden sind. Eingehend porträtiert werden Milica Djordjević und Iris ter Schiphorst, deren Werke sich in jeweils eigener Form als Ausdruck von Rauheit im oben bezeichneten Sinne begreifen lassen. Für das Schaffen Djordjevićs ist ein seismografisches Reagieren auf musikalische Materialbeschaffenheiten charakteristisch; sie selbst kennzeichnet in einem Interview ihren Umgang mit Melodik als „differenziert und rau“. Dieser Eindruck wird nicht nur durch Spieltechniken, sondern ebenso auch durch einen spezifischen Umgang mit Instrumentation und Rhythmik erzeugt und verweist auf eine kompositorische Haltung, die weniger auf existenziellen Gewissheiten (wie Atemfluss oder Gravitation) aufruht, sondern von einem permanenten Ringen um diese Sicherheit versprechende Ebene gekennzeichnet ist.

Bei Iris ter Schiphort lässt sich Rauheit als ein psychosomatisches Reagieren im Sinne eines „Nicht-die-Worte-finden-Können[s]-für- das-was-in-mir-vorgeht“ begreifen. In diesem Reagieren öffnet sie sich ihren eigenen Worten zufolge bewusst der menschlichen „Grausamkeit – meiner inbegriffen“. Ist ihr Schaffen einerseits von einem Zurückweisen semantischer Elemente gekennzeichnet, so lässt sich doch immer wieder der Versuch erkennen, die Sprachlosigkeit durch Einbeziehung textlich-lautlicher Elemente formulierungsfähig zu machen. Rauheit wäre dann als Kreuzungspunkt dieser divergierenden Bewegungsrichtungen zu begreifen.

Neben diesem Schwerpunkt kommen weitere Ansätze zur Sprache, die jeweils in spezifischer Weise das Tagungsthema beleuchten. Mit Martin Schüttler wird ein Komponist vorgestellt, der bewusst den Kontakt mit heterogenen, zunächst musikfremd erscheinenden Materialien sucht und aus der Begegnung mit Disparatem „raue“ (sich „innermusikalischer“ Stimmigkeit widersetzende) Texturen entstehen lässt. Ein weiterer Themenblock, der von den Musiker*innen Astrid Schmeling und Moritz Schneidewendt gestaltet wird, soll sich mit den schwierigen Rahmenbedingungen auseinandersetzen, denen das Komponieren und Aufführen Neuer Musik gegenwärtig unterliegt. Dabei soll u.a. gefragt werden, ob die sozialromantische Warnung vor einer „satten“ Kunst und – damit verbunden – die Idee eines heroische Standhaltens der Künstler*innen angesichts eines zunehmend rauer werdenden Umfelds eine adäquate Antwort auf die Herausforderungen einer Gesellschaft im Krisenmodus sein kann. Die 76. Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt wird von der Ernst von Siemens Musikstiftung ermöglicht.

Weitere Informationen:
neue-musik.org

Termine

12. – 15. April 2023
Akademie für Tonkunst, Darmstadt

14. April 2023
Gewölbekeller im Jazzinstitut Darmstadt