Kompositionsauftrag an Reinhard Febel
Landestheater Linz (AT)
Im Sommer 1860 wird in Baltimore ein seltsamer Junge geboren: Benjamin Button erblickt nicht als süßer kleiner Fratz, sondern als bärtiger Greis das Licht der Welt. Sein Schicksal ist ihm vorherbestimmt: Er durchläuft das Leben rückwärts und wird von Tag zu Tag jünger. Als er schließlich im Alter von fünfzig Jahren die beinahe dreißig Jahre jüngere Hildegarde kennenlernt, steht für ihn, der aufgrund seines seltsamen Lebenslaufs noch nie geliebt wurde, alles auf dem Spiel. Zudem wird Benjamin wegen dieser speziellen Umstände von der Gesellschaft ausgegrenzt. Einzig zu dem Zeitpunkt, als das äußere und das tatsächliche Alter übereinstimmen, wird er akzeptiert. Die Liebe zu Hildegarde kann nicht dauern, denn während sie unaufhaltsam altert, wird Benjamin immer jünger, bis er schließlich im Haus seines eigenen Sohnes zum Baby wird. Hildegarde bleibt allein zurück und reflektiert die Stadien dieser seltsamen Liebe, die ihr ganzes Leben durchzogen hat.
Bei F. Scott Fitzgeralds Kurzgeschichte handelt es sich um eine Art Folly, einen skurrilen und originell, aber nur skizzenhaft ausgestalteten Einfall. Der Komponist Reinhard Febel, der im Auftrag des Landestheater Linz die Oper Benjamin Button komponiert, nimmt die Geschichte für jedoch durchaus ernst, aber ohne auf das Groteske und die Komik der Situationen zu verzichten. Die Geschichte wird zwar linear erzählt, wobei instrumentale Zwischenspiele die Zeitsprünge überbrücken. Allerdings sozusagen linear in zwei Richtungen, als ob der Zeitpfeil wirklich umkehrbar wäre und die Oper sozusagen eine von zwei Möglichkeiten frei gewählt hätte. Vielleicht nämlich könnte in einer anderen, hypothetischen Version das Leben der Frau rückwärts und dasjenige des Mannes vorwärts verlaufen. Erst im Epilog soll klar werden, dass die ganze Geschichte eigentlich aus Hildegardes Perspektive erzählt wurde.
Dieselben Dialogfetzen mögen sich unter verschiedenen Bedingungen wiederholen: Szenenbruchstücke, die in einem ersten Alterskontext plausibel und mit wahren Gefühlen aufgeladen sind, kehren in einem zweiten, späteren Zusammenhang wieder, in dem sie komisch oder skurril wirken – und auch umgekehrt. Benjamin Buttons Sprache und Singweise durchlaufen eine kontinuierliche Dekonstruktion (oder Dekomposition), umgekehrt dem natürlichen Spracherwerb. Die Syntax und auch das musikalische Material sind zu Beginn komplex, werden dann aber, insbesondere in den letzten Teilen der Oper nach und nach einfacher. Der Satzbau wie auch die musikalischen Motive werden allmählich kürzer. Dann geht die Singstimme in einzelne Wörter, ja sogar Silben und Phoneme hinein, die am Ende als diskrete Elemente wie erste Kinderlaute übrigbleiben, allerdings mehr und mehr mit Emotionen aufgeladen, so wie ein kleines Kind mit all seiner gebündelten Wahrnehmung Gegenstände benennt und einzelne Gefühlsreaktionen entdeckt und verinnerlicht.
Die anderen Personen neben Benjamin Button behalten stets denselben Duktus bei. Allerdings erfährt Hildegarde eine bedeutende emotionale Entwicklung, denn bei ihr geht – im Gegensatz zu ihrem Gegenüber – die Erfahrung der Liebe mit der Erfahrung des Alterns und der Endlichkeit einher. Die Mitte des Stückes ist derjenige Moment, in dem Benjamins Alter seiner natürlichen Entwicklung entspricht (der Umkehrpunkt sozusagen), in dem er so alt ist, wie er sich fühlt. Hier ist er eine reale Person, und hier läuft die reale, zentrale Liebesszene und -beziehung ab. Letztendlich ist es nicht möglich, Benjamins Geburt und Tod auseinanderzuhalten. Am Ende des Stückes geht er in den Urgrund der Dinge, in eine Art zeitlosen, allumfassenden Zustand ein, aus dem er auch (zumindest in musikalischer Hinsicht) gekommen war. Man könnte sagen: Die vier buddhistischen Übel Geburt, Alter, Krankheit und Tod wurden zu Tod, Krankheit, Jugend, Geburt umgemünzt – also auch die Geburt ein Leiden, gleichzeitig als Tod aber auch ein Hinaustreten in etwas Neues, in eine umfassendere Sphäre als diejenige der menschlichen Person. Dabei will die Komposition diese tieferen dramaturgischen Schichten klanghaptisch erfahrbar machen.
Der Kompositionsauftrag an Reinhard Febel wird von der Ernst von Siemens Musikstiftung gefördert.
Weitere Informationen:
landestheater-linz.at
Termine
6., 13. und 30. April, 11. und 26. Mai und 1. Juli 2024
Landestheater Linz