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Eric Wubbels steht am Ufer eines Flusses Eric Wubbels steht am Ufer eines Flusses Eric Wubbels steht am Ufer eines Flusses
Komponist*innen-Förderpreisträger

Eric Wubbels

Essay

Diptychon/Beisammensein

von Seth Brodsky

Ich möchte hier kurz einen von zwei Gedanken über die Musik von Eric Wubbels entwickeln, und dann bin ich froh, Sie in Ruhe zu lassen. Dieser ist weniger ein Gedanke als eine vorläufige Selbstbefreiung: Hören Sie auf zu lesen, hören Sie zu, was gibt es sonst noch zu sagen? Das ist nicht nur eine Frechheit. Dies ist eine zutiefst unruhige Musik, die einen oft still werden lässt. Die Geheimnisse sind zahlreich, aber nicht gerade tief oder dunkel. Eine aggressive Transparenz widerlegt die Vorstellung, dass „unaussprechlich“ gleichbedeutend ist mit ungreifbar, gespenstig, körperlos. Dies ist harte Musik, in einem performativen, aber auch in einem physischen, fast mineralischen Sinn, nicht so sehr „kristallin“ – üblicherweise eine visuelle Beschreibung – als vielmehr kristallografisch: Musik, die sich entlang bestimmter vorgegebener, aber oft überraschender Strukturebenen spaltet. Diese Konkretheit, dieses auditive KNACK!, ist in Wubbels‘ Werk axiomatisch: erschreckend, faktenartig, allgegenwärtig und vor allem wiederholbar. Der Kern der Musik ist aber nicht nur die Wiederholung, sondern die Wiederholbarkeit, die Macht des Schnitts, etwas geschehen zu lassen, und dann wieder zu geschehen. Aber vielleicht, weil es nie einen Zweifel daran gibt, dass etwas musikalisch da ist, dass etwas musikalisch geschehen ist, gibt es immer eine damit einhergehende Ungewissheit darüber, was und warum. Der unwiderlegbare Knall des Dass bringt einen stummen Zweifel am Was hervor, wie eine Antwort, die einer Frage vorausgeht, immer und immer wieder, und diese kausale Störung erzeugt einen Wirbel aus Überpräsenz und Mangel. Die Wiederholung, als „Klebstoff der Musik“, denaturiert sich selbst. Sie wird zu einer spaltbaren Kraft, die ebenso reißt wie sie bindet. Und doch – in der Erinnerung an das Werk, die nach seinem Ende nachhallt, hört man eine anamorphotische Konkordanz, die während des Ereignisses selbst nie auftauchte.

Eric Wubbels steht vor einem Holztor

Was dabei herauskommt, ist eine der seltsamsten Erfahrungen der Musikzeit, die sich heute entfaltet. Und natürlich ist es das, wovon ich Ihnen am meisten erzählen möchte. Und natürlich ist es das, was am schwersten zu fassen ist. Aber wenn ich Ihnen nicht in die Zeit dieser Musik hineinschreiben kann – die, wie einige von Wubbels' Titeln betonen, ihre „Seins-Zeit“, ihr „Zwischensein“ ist –, so kann es doch nützlich sein, die Art und Weise zu genießen, wie sie Worte ablenkt, und ihren Abprallern zu folgen. Nicht zuletzt in größeren Theatern. Wubbels‘ Musik ist klassisch asketisch, eine Aufforderung an ihre Interpret*innen und ein Plädoyer an ihre Zuhörer*innen, sich ihrer Identitäten zu entledigen und sich dem zu öffnen, was in dieser Leere geschehen kann. Aber es hat auch etwas beunruhigend Zeitgenössisches, ja geradezu au courant an sich. T.W. Adornos alter, ängstlicher Wunsch an die neue Musik – dass sie, so einsam und nischenhaft sie auch sein mag, radikale Wahrheiten über eine kulturelle Hegemonie birgt, die sie verschmäht – ist hier nicht ganz unzutreffend. In Wubbels‘ Werk kann man den unwahrscheinlichen, dialektischen Antagonisten eines größeren „kulturellen Stils“ hören – was Anna Kornbluh einfach als „Unmittelbarkeit“ bezeichnet –, der überall wirkend ist, von literarischen Memoiren bis zum digitalen Streaming, von Verschwörungstheorien bis zum neofaschistischen Aufruhr, von der kapitalistischen Hyperzirkulation bis zum Bombenzyklon.1 Wubbels‘ Musik, die sicherlich keine bewusste Antwort auf das ist, was sich neben ihr entwickelt, ist dennoch mit all dem als ihre Umkehrung verbunden: ein Projekt der Dilatation und Verschiebung in einer Ära, die absolute Kompression und monströsen Fluss fordert und erleidet; ein Kunststück der Vermittlung in einem Zeitalter, das sie verabscheut und verleugnet; eine unsentimentale Feier der klanglichen Lücke, des auditiven KNACK! in einem Moment, in dem alles Leben darum rennt, seine Ohren zu füllen und zu bedecken.

[1] Anna Kornbluh, Immediacy, or the Style of Too Late Capitalism (London: Verso, 2023)

Eric Wubbels im Garten
Eric Wubbels zwischen Pfeilern einer Brücke

Ich möchte hier kurz einen von zwei Gedanken über die Musik von Eric Wubbels entwickeln, und dann lasse ich Sie gerne in Ruhe. Mark Twains goldene Beleidigung geht mir wieder durch den Kopf: „Wagners Musik ist besser als sie klingt.“ Wubbels‘ Musik ist – zumindest so gut, wie sie klingt. Aber ich denke über eine Paraphrase nach: Wubbels‘ Musik ist ... anders als sie klingt. Das ist zum Teil eine Frage der unterschiedlichen, gleichzeitigen Hörordnungen. „Klingt wie“ ist eine imaginäre Ordnung, die sich auf Ähnlichkeit, Echo, Spiegel, Dyade, Duo gründet – dieses letzte Wort ist für Wubbels ein verankernder Signifikant, der im Mittelpunkt seiner außergewöhnlichen, fortlaufenden Serie von „Klavier und ...“-Stücken steht. Diese Werke sind eine epische Untersuchung dessen, was es bedeutet, mit einem anderen/einer anderen zu spielen, mit jemandem musikalisch zusammen zu sein, sowohl im wörtlichen Sinne der Synchronizität als auch im weiteren Sinne des Mit-Seins, des Nahe-Seins, des Nah-Seins. Diese Partituren sind für die Duo-Form des 21. Jahrhunderts das, was Luciano Berios Sequenze für die Solo-Form des 20. Jahrhunderts waren. Und passenderweise bieten sie eine Antwort durch Teilung, Verdoppelung, eine axiomatische Spaltung.

Eric Wubbels in der Natur

Was für ein wunderbar seltsames Paradoxon: eine kristallografische Musik, die auf der Zeitachse konstitutiv zerrissen ist, deren Wiederholungen sie in der aufgesprungenen Zeit vorantreiben, während synchron jede*r Spieler*in an den/die anderen gefesselt, gebunden und ihm/ihr völlig verpflichtet bleibt. Das meine ich damit, dass eine Musik anders ist, als sie klingt. Spaltung und Disjunktion mögen die Klangwelt definieren und sie vorantreiben; Wiederholung mag ihre Standardrolle umkehren und zu einer dehiszierenden Kraft werden. Aber sie verbreitern und vertiefen nur einen Wirbel, dessen Kraft aus darf ich es sagen? Liebe, Eros, einem vitalen Lärm im Dienste der Vereinigung.

Eric Wubbels läuft im Wald

Dies ist nicht dasselbe wie die Vereinigung selbst. Wubbels‘ Beziehung zum harmonischen Spektrum und zur reinen Stimmung ist hier aufschlussreich. Obere Teiltöne sind für seine harmonischen Erkundungen von wesentlicher Bedeutung; und in einigen Momenten scheint die Obertonreihe als ein ursprünglicher klanglicher Antrieb aufzurufen: der unauslöschliche endogene Druck der Schwingung, die Hülle ihres Schicksals. (Man denke nur an den himmelseröffnenden Moment nach etwas weniger als der Hälfte von Schisma-PANEL II (Harmony) in being-time von 2015). Aber Spektrum und Intonation scheinen für Wubbels keine kosmische Autorität zu besitzen; es gibt keinen Sonnengruß an den Grundton als eine ungreifbare gnostische Vollkommenheit und auch keine Melancholie über seine endgültige Abwesenheit. Die Musik, oft fast ostentativ anspruchsvoll und virtuos, scheint an Perfektion nicht interessiert zu sein. Sie strebt nicht nach dem akkordischen Orbis als Bild der Einheit, sondern nach dem schlagenden Intervall als Motor der Zweiheit. Immer die zwei, und dann die Arbeit: das Koppeln, das Vermitteln, die langsame, zerbrechliche, erotische, unvollkommene Arbeit, im Raum wieder zusammenzufügen, was in der Zeit auseinanderbricht.