Förderpreis Komposition 2023
Eric Wubbels
Essay
Diptychon/Gemeinsamkeit
von Seth BrodskyIch möchte hier kurz einen von zwei Gedanken zur Musik von Eric Wubbels entwickeln, dann werde ich Sie wieder in Ruhe lassen. Dies hier ist eigentlich weniger ein Gedanke als vielmehr eine einleitende Selbstentlastung: Lesen Sie erst gar nicht, hören Sie einfach gleich die Musik, was gibt es da sonst noch zu sagen? Das ist nicht als Provokation gemeint. Es geht um eine zutiefst ruhelose Musik, die oft eine beruhigende Wirkung hat. Rätsel gibt sie in großer Zahl auf, doch sind diese nicht unbedingt „tief“ oder dunkel. Eine aggressive Transparenz widerlegt die Vorstellung, dass „unsagbar“ auch ungreifbar, schemenhaft, entkörpert bedeutet. Es ist eine harte Musik, und zwar sowohl im performativen, als auch im physischen, fast mineralischen Sinn, allerdings nicht so sehr „kristallin“ – üblicherweise eine visuelle Beschreibung – als vielmehr „kristallografisch“: Musik, die sich entlang bestimmter vorgegebener, oft aber überraschender Strukturebenen aufspaltet. Diese Konkretheit, dieser auditive KNACK! ist axiomatisch für Wubbels’ Werk: einschüchternd, faktenartig, allgegenwärtig und vor allem wiederholbar. Der Kern der Musik ist nicht nur die Wiederholung, sondern die Wiederholbarkeit, die Macht des Cuts, etwas geschehen zu lassen, und dann wieder geschehen zu lassen. Doch gerade weil es nie einen Zweifel daran gibt, dass musikalisch etwas da ist, dass sich musikalisch etwas ereignet hat, gibt es da immer eine Ungewissheit über das Was und das Warum als Begleiterscheinung. Der unbestreitbare Knack des „Dass“-Haften lässt einen leisen Zweifel am „Was“- Haften aufkommen, fast wie eine Antwort, die einer Frage vorausgeht, immer und immer wieder, und diese Störung der Kausalität erzeugt einen Wirbel aus Überpräsenz und Nichtvorhandensein. Wiederholung, der „Klebstoff der Musik“, denaturiert sich selbst. Sie wird zu einer spaltbaren Kraft, die zerreißt und gleichzeitig bindet. Und doch – in der Erinnerung an das Werk, wenn dieses schon zu Ende ist, kann man den Nachhall einer anamorphotischen Konkordanz hören, die während des Ereignisses selbst gar nicht zum Vorschein kam.
Dabei entsteht eine musikalische Zeiterfahrung der besonderen Art, die sich heute entfaltet. Und natürlich ist es genau das, wovon ich ihnen unbedingt erzählen möchte. Und natürlich ist es genau das, was am schwersten zu fassen ist. Aber wenn ich Sie schon nicht in die Zeit dieser Musik hineinschreiben kann – ihre „Seins-Zeit“, eigentlich ihr „Zwischen-Sein“, wie es einige von Wubbels‘ Titel für sich beanspruchen – so mag es doch auch von Nutzen sein, die Art und Weise, wie sie Worte von sich abprallen lässt, zu genießen und dieser Bewegung zu folgen. Nicht zuletzt in größere Theater hinein. Wubbels’ Musik ist im klassischen Sinn asketisch, eine Aufforderung an ihre Interpreten und Interpretinnen und ein Plädoyer an die Zuhörerschaft, sich der eigenen Identität zu entledigen und sich dem zu öffnen, was in dieser Leere geschehen kann. Aber sie hat auch etwas verstörend Zeitgenössisches, ja, etwas geradezu Hochaktuelles an sich. T. W. Adornos alter inbrünstiger Wunsch an die neue Musik – dass sie, wie abseits und nischenhaft sie auch sein mag, radikale Wahrheiten über eine kulturelle Hegemonie birgt, von der sie abgelehnt wird – ist hier nicht ganz unzutreffend. In Wubbels' Werk kann man den dubiosen dialektischen Gegenspieler eines größeren „kulturellen Stils“ hören – Anna Kornbluh spricht einfach von „Unmittelbarkeit“ – , der vom literarischen Memoir bis zum digitalen Streaming, von Verschwörungstheorien bis zur neofaschistischen Randale, von kapitalistischer Hyperzirkulation bis zum Bombenzyklon überall am Werk ist.1 Wubbels’ Musik, sicherlich keine bewusste Antwort auf das, was sich parallel zu ihr entwickelt, ist dennoch mit all dem als dessen Umkehrung verbunden: ein Projekt der Dehnung und Verschiebung in einer Zeit, die absolute Verdichtung und einen monströsen Fluss erfordert und erleidet; ein Kunststück der Vermittlung in einem Zeitalter, das eine solche verabscheut und leugnet; eine unsentimentale Feier der klanglichen Lücke, des auditiven KNACK! zu einem Zeitpunkt, an dem alles Leben nur noch darauf aus ist, sich die Ohren vollzustopfen und zuzuhalten.
1 Anna Kornbluh, Immediacy, or the Style of Too Late Capitalism (London: Verso, erscheint 2023).
Ich möchte hier kurz einen von zwei Gedanken zur Musik von Eric Wubbels entwickeln, dann werde ich Sie wieder in Ruhe lassen. Mark Twains beispielloser Affront geht mir wieder durch den Kopf: „Wagners Musik ist besser, als sie klingt.“ Wubbels’ Musik ist – mindestens so gut, wie sie klingt. Aber ich denke über eine Umschreibung nach: Wubbels’ Musik ist ... anders, als sie klingt. Das geht zum Teil auf unterschiedliche gleichzeitige Systeme des Hörens zurück. „Klingt wie“ ist ein imaginäres System, das auf Ähnlichkeit, Echo, Spiegel, Dyade, Duo gründet. Letzteres ist für Wubbels ein stabilisierender Signifikant und Kern seiner außergewöhnlichen fortlaufenden Serie von Klavier und ...-Stücken. Diese Werke beinhalten eine epische Untersuchung dessen, was es bedeutet, mit jemand anderem zu spielen, mit jemandem musikalisch zusammen zu sein, sowohl im wörtlichen Sinn der Synchronizität als auch im weiteren Sinn des Mit-Seins, Nahe-Seins, Sich- Nahe-Seins. Diese Partituren sind für die Duo-Form des 21. Jahrhunderts das, was Luciano Berios Sequenze für die Solo-Form des 20. Jahrhunderts waren. Und passenderweise bieten sie eine Antwort durch Splittern, Verdoppeln, axiomatisches Spalten.
Was für ein wunderbar seltsames Paradox: eine kristallografische, konstitutiv auf der Zeitachse zerrissene Musik, deren Wiederholungen sie in überdrehtem Tempo vorwärts reißen, während alle beim Spielen synchron an die anderen gekettet, gebunden, den anderen absolut verpflichtet bleiben. Das meine ich mit einer Musik, die „anders ist, als sie klingt". Spaltung und Disjunktion mögen die Klangwelt definieren und sie vorantreiben; Wiederholung mag ihre Standardrolle auf den Kopf stellen und zu einer auseinanderberstenden Kraft werden. Doch sie weiten und vertiefen nur einen Wirbel, dessen Kraft – wage ich, es zu sagen? – aus Liebe, Eros und einem vitalen Getöse im Dienste der Vereinigung kommt.
Das ist nicht dasselbe wie die Vereinigung selbst. Wubbels’ Beziehung zum harmonischen Spektrum und zur reinen Stimmung ist hier erhellend. Obere Teiltöne sind für seine harmonischen Erkundungen von wesentlicher Bedeutung, und einige Momente scheinen die Obertonreihe als ursprünglichen klanglichen Antrieb heraufzubeschwören: den unabänderlichen endogenen Druck der Schwingung, die Hülle ihres Schicksals. Doch Spektrum und Intonation scheinen für Wubbels keine kosmische Autorität zu besitzen; es gibt weder einen Sonnengruß an den Grundton als einer nicht greifbaren gnostischen Perfektion, noch erzeugt dessen letztendliche Abwesenheit Melancholie. Die Musik, oft fast ostentativ anspruchsvoll und virtuos, scheint nicht an Perfektion interessiert zu sein. Sie strebt nicht nach dem akkordischen Orbis als einem Bild der Einheit, sondern nach dem schlagenden Intervall als einem Motor der Zweiheit. Immer die zwei, und dann die Arbeit: das Koppeln, das Vermitteln, die langsame, zerbrechliche, erotische, unvollkommene Aufgabe, im Raum wieder zusammenzufügen, was in der Zeit auseinanderbricht.