Der Komponist Elliott Carter ist international als eine der herausragenden amerikanischen Stimmen klassischer Musik und eine führende Gestalt der Moderne im 20. und 21. Jahrhundert anerkannt. Andrew Porter feierte ihn als „Amerikas großen musikalischen Dichter“; sein Freund Aaron Copland sah in ihm „einen von Amerikas herausragenden schaffenden Künstlern aller Bereiche“.
Als erster Komponist erhielt Carter die United States National Medal of Arts, und er gehört zu einer Handvoll Komponisten, die in die American Classical Music Hall of Fame gewählt wurden. Die französische Regierung erkannte ihm gleich zwei Auszeichnungen zu: die Ernennung zum Commandeur des Arts et Lettres und im September 2012 zum Commandeur der Ehrenlegion.
Carters frühe Werke weisen einen neoklassizistischen Stil auf; Meisterwerke aus dieser Zeit sind etwa seine 1. Symphonie (1942) und die Holiday Overture (1944), die unter dem Einfluss seiner Zeitgenossen Copland, Hindemith und Strawinsky entstanden. Nach 1950 wendete er sich vom Neoklassizismus ab und entwickelte einen ganz eigenen, unverkennbaren rhythmischen und harmonischen Stil mit häufiger Tempo-Modulation. Sein Doppelkonzert für Cembalo, Klavier und zwei Kammerorchester (1961) und sein Klavierkonzert (1967) rühmte Igor Strawinsky als Meisterwerke.

Penthode Skizzenblatt (1985)
Über seine gesamte Schaffenszeit hinweg vertonte Carter zahlreiche Werke der Literatur und Lyrik, unter anderem von berühmten amerikanischen Schriftstellern und Dichtern wie John Ashberry, Elizabeth Bishop, E.E. Cummings, Robert Frost, Wallace Stevens und William Carlos Williams. Ein wahrer Schaffensrausch in den 1980er-Jahren brachte Werke wie die Night Fantasies (1980), das Triple Duo (1983), Penthode (1985) und große Orchesterwerke wie das Oboenkonzert (1986/87), Three Occasions for Orchestra (1989), das Violinkonzert (1990) und Symphonia: sum fluxae pretium spei (1993–96) hervor.
Carters einzige Oper, What Next? (1997/98) wurde 1999 von Daniel Barenboim, einem großen Förderer von Carters Musik, in Berlin uraufgeführt.
„Oft kann man Humorvolles und Gewitztes in Carters Werken hören; Zorn in einigen der großen Stücke aus früherer Zeit; zunehmend Schönheit und Gesangliches in den Kompositionen der zurückliegenden Jahrzehnte. Er ist der große musikalische Poet Amerikas.“ (Andrew Porter, Musical America)
Im Jahr 2008, dem Jahr seines 100. Geburtstags, feierte man Carter mit Ehrenbezeugungen und Hommagen auf Konzertpodien und Musikfestivals in der ganzen Welt. Zu seinem Geburtstag fand in der New Yorker Carnegie Hall die Uraufführung von Interventions für das Boston Symphony Orchestra unter James Levine und mit Daniel Barenboim am Klavier statt.
In seinen letzten Jahren brachte Carter in erstaunlicher Regelmäßigkeit neue Werke hervor. Sein Flötenkonzert (2008) wurde von Emmanuel Pahud und dem International Chamber Music Ensemble uraufgeführt. What are Years (2009) ist ein Auftragswerk der Festivals in Aldeburgh und Tanglewood. Im Jahr 2009 erlebte das Concertino for Bass Clarinet and Chamber Orchestra seine Premiere durch Virgil Blackwell und das New Music Concerts Ensemble Toronto. Bei einem Konzert zu Ehren von Carters 103. Geburtstag im Dezember 2011 waren gleich zwei Weltpremieren zu hören, die von seinem Streichtrio (2011) und von A Sunbeam’s Architecture (2010), sowie zwei Überraschungswerke, die er in dem Monat vor dem Konzert geschrieben hatte: Rigmarole und Mnemosyné. Zu Carters letzten Werken gehören Dialogues II (2012), ein Daniel Barenboim gewidmetes, wenige Wochen vor Carters Tod im Alter von 103 Jahren uraufgeführtes Konzert für Klavier und Orchester, und Instances (2012) für das Seattle Symphony Orchestra.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Boosey & Hawkes.
Als ein Mann von weitgespannter Bildung, der schon seit seiner Studienzeit an allen Aspekten modernen Denkens leidenschaftlichen Anteil nahm, ist er wahrscheinlich von anderen Künsten, vor allem von der Literatur, ebenso tief beeinflusst worden wie von der zeitgenössischen Musik.
„Einer der herausragendsten unter Amerikas schaffenden Künstlern aller Bereiche“ (Aaron Copland)
Der ihn am meisten interessierende Zeitaspekt ist ihm in den Romanen von Proust begegnet, bei dem die Gegenwart immer im Zusammenhang mit der Vergangenheit erscheint; die Vergangenheit ist der Gegenwart beinahe überlagert. Und indem er versuchte, eine musikalische Parallele zu Proust zu finden, begann Carter, das Prinzip einer musikalischen Textur zu entwickeln, in der Schichten verschiedener Ideen miteinander kombiniert werden. Die Frage war, wie man diese Schichten getrennt halten könnte und wie man sie darstellen müßte, damit der Hörer sie erkennt und sieht, wie sie sich gegenseitig beeinflussen. In gewisser Hinsicht ging er aber eigentlich weiter als Proust; das heißt, er übersetzte Prousts Begriffe in ein Medium, in dem sie mit größerer Unmittelbarkeit verwirklicht werden können.
(Paul Sacher Stiftung, Basel, Sammlung György Ligeti)